Einkommensabhängige Bußgelder für mehr Gerechtigkeit?

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hat sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Januar 2019 dafür ausgesprochen, die Höhe von Bußgeldern für Geschwindigkeitsüberschreitungen an dem Einkommen der Betroffenen zu bemessen. Dies sei bei „gravierenden“ Geschwindigkeitsverstößen „überlegenswert, weil es den wohlhabenden Großverdiener oder den Millionär nicht trifft, wenn er bei gravierenden Tempoüberschreitungen von beispielsweise mehr als 50 Stundenkilometern 240 bis 680 Euro bezahlen muss“.

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Nach der Meinung von Innenminister Pistorius solle dies aber nicht für jede Geschwindigkeitsüberschreitung gelten, sondern nur für gravierende Verstöße „von beispielsweise mehr als 50 Stundenkilometern“.

Eine für jeden einzelnen Verkehrssünder einkommensgerechte Sanktion ist ein ehrenwerter Vorschlag, er wird sich aber kaum umsetzen lassen.

Ein Überblick

In Bußgeldverfahren gilt gem. § 17 Abs. 3 OWiG, dass für die Zumessung einer Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit sowie der Vorwurf, den der Täter trifft, grundlegend sind. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bleiben „bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten“ außer Betracht.

 

Dieser Grundsatz wird für Verkehrsordnungswidrigkeiten konkretisiert durch die Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV), die für verschiedenste Verstöße Regel-Sanktionen vorsieht.

 

Beispielsweise sieht die BKatV für eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts von 41 – 50 km/h ein Regelbußgeld von 200 Euro vor. Hinzu kommen als „Nebenfolge“ die Eintragung von 2 Punkten im Fahreignungsregister sowie ein Fahrverbot von einem Monat.

 

Wenn es in einem solchen Fall zum Erlass eines Bußgeldbescheides kommt, bleiben die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nahezu immer außer Betracht. Die Höhe des Bußgeldes folgt einem pauschalen Katalog (BKatV), es wird pauschal auf die Tat, bzw. den Verstoß reagiert.

 

Anders verhält es sich in Strafverfahren, die oft auch wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen geführt werden (z.B. § 315c StGB Gefährdung des Straßenverkehrs).

 

Das deutsche Strafrecht folgt bei der Bemessung von Geldstrafen einem zweistufigen System. Im ersten Schritt wird auf die konkrete Straftat reagiert, indem als Strafe die Anzahl sog. Tagessätze festgelegt wird. Beispielsweise wird ein geständiger Ersttäter einer Körperverletzung vom Gericht mit 30 Tagessätzen bestraft.

 

Im zweiten Schritt wird gem. § 40 Abs. 2 StGB die Höhe eines Tagessatzes bestimmt. Dabei berücksichtigt das Gericht die „persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters“. Maßgeblich für die Bemessung der Höhe eines Tagessatzes ist das Netto-Einkommen des Täters je Tag.Mit diesem System soll einerseits auf die konkrete Straftat angemessen reagiert werden bzw. diese individuell sanktioniert werden (Anzahl der Tagessätze). Andererseits soll jeder Straftäter gemessen an seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bestraft werden. Anders also, als im Bußgeldverfahren.

Ist dem Vorschlag von Innenminister Pistorius zuzustimmen oder nicht?

Eine für jeden einzelnen Verkehrssünder einkommensgerechte Sanktion ist ein ehrenwerter Vorschlag, er wird sich aber kaum umsetzen lassen.


Die Verwaltungsbehörden haben es täglich mit unzähligen Verfahren zu tun, die nach Aktenlage bearbeitet werden müssen. Es handelt sich um ein „Massengeschäft“. Innerhalb dieser Struktur darf die Behörde mittels eines Bußgeldbescheides eine abschließende Entscheidung treffen, ohne dabei den Betroffenen zu „kennen“. Reagiert wird nur auf den Tatvorwurf. Ein Richter ist (anders als im Strafrecht) mit der Angelegenheit nur befasst, wenn der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegt.


Insbesondere bei Geschwindigkeitsüberschreitungen sieht der BKatV Regelbußgelder für einzelne Korridore von überhöhter Geschwindigkeit vor. Es kommt damit nicht einmal auf die konkrete Geschwindigkeit an – das Regelbußgeld ist gleichermaßen vorgesehen für Geschwindigkeitsüberschreitungen von 41 km/h wie von 50 km/h.


Sollen in Bußgeldverfahren in jedem Einzelfall die konkrete Geschwindigkeit, ggf. die Örtlichkeit und anschließend noch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen ermittelt und gewürdigt werden, um ein angemessenes Bußgeld festzusetzen? Dieser Verwaltungsaufwand würde sich vermutlich nicht realisieren lassen. Bereits die Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse erscheint nahezu unmöglich. Denn im Gegensatz zum Strafrecht (dort § 40 Abs. 3 StGB) sieht das Ordnungswidrigkeitenrecht die Möglichkeit der Schätzung der Einkünfte des Betroffenen gerade nicht vor.


Das ethische Unrecht im Strafrecht ist in der Regel weit höher, als bei bußgeldbewährte (Verkehrs-)Verstößen. Wo im Strafrecht in den meisten Fällen ein Geschädigter ist, verbleibt es im Bußgeldrecht bei dem Verstoß. Auf diesen reagiert die Behörde – unabhängig von der Person des Betroffenen, insb. seinen wirtschaftlichen Verhältnissen.


Möchte man den Vorschlag von Innenminister Pistorius aufgreifen und diesen ernsthaft diskutieren, wäre dies mit einer Veränderung des gesamten Bußgeldverfahrens verbunden. Dabei dürften die Schwierigkeiten der Einkommensermittlung durch die Behörde sowie der erhöhte Verwaltungsaufwand nicht vergessen werden.